Biennale 2024

Fremde überall

Äpfel, Birnen, Bananen, Orangen und Zitronen faulen vor sich hin, ein Rollstuhl hängt von der Decke. Willkommen bei der 60. Biennale in Venedig.
Ein Geruch von Fäulnis hängt in der Luft, das verwesende Obst der Installation "decomposition" bringt Glühbirnen zum Leuchten. Technik, Chemie, Spielerei, Kunst. Die Übergänge sind manchmal fließend.


Yuko Mohri,Japan


Marton Nemes, Ungarn


Marton Nemes, Ungarn


Fremde überall

Ein Alligator legte sich einst über die Beringstraße. Die Menschen benützten ihn als Brücke und wanderten so von Asien nach Amerika ein. Die Legende "kapewi pukeni" ist über dem Eingang zum Zentralpavillon in den Giardini zu sehen und nimmt das diesjährige Motto "Foreigners Everywhere" auf.


The Huni Artists Movement


Bunte Perlen legen nahe, dass es im Pavillon der USA um das Verhältnis zur indigenen Bevölkerung geht. "the space in which to place me" verwendet Materialien und Formen der indigenen Kunst Nord­amerikas und aktu­alisiert sie richtig poppig.


Jeffrey Gibson, USA


Jeffrey Gibson, USA


Russland stellt heuer seinen Pavillon Bolivien zu Verfügung. Ob es das tut, weil Bolivien die größten Lithiumvorkommen weltweit hat und damit die Chinesen im Handel mit dem begehrten Rohstoff ausstechen will, wird heiß diskutiert.


Juvenal Ravelo, Bolivien


Juvenal Ravelo, Bolivien


Ist sie eine römische Göttin oder eine Dragqueen? Jedenfalls ist das Hologramm, das sie zeigt sehr beeindruckend. Wie der schweizerisch-brasilianische Künstler Guerreiro Do Divino Amor mit dem Klischee der perfekten Schweiz spielt, ist großartig. "Super Superior Civilizations" ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Kunst auf der Biennale erleben lässt: Einfach staunen, lachen und sich einfangen lassen oder sich damit auseinandersetzen, was der Künstler über Nationen und antike Mythen zu erzählen hat.


Guerreiro Do Divino Amor, Schweiz


Guerreiro Do Divino Amor, Schweiz


Guerreiro Do Divino Amor, Schweiz


Nach Hause telefonieren

Die meisten Besucherinnen sind nicht im sondern vor dem österreichischen Pavillon. Dort haben sie die Möglichkeit in Telefonzellen zu telefonieren. Sie nützen die Gelegenheit und stellen sich für Gespräche, die sie von ihrem Handy einfacher, aber ohne dieses Gefühl des Entdeckens und des Abenteuers hätten führen können, lange an. Vermutlich hat keine von ihnen davor jemals eine Telefonzelle betreten. Anders als die Asylsuchenden in Traiskirchen, die 1989 genau aus diesen sechs Telefonhütten nach Hause telefoniert haben.


Anna Jermolaewa,Österreich/Ukraine


Unruhe in der Politik

Schwanensee im Fernsehen. Wenn es in der Sowjetunion politisch unruhig wurde, gab es das Ballett von Tschaikowski in Dauerschleife zu hören und zu sehen. Anna Jermolaewa war Zeugin davon, bevor sie nach Wien geflüchtet ist. Schwanensee wurde zum Symbol für politische Unruhen. Anna Jermolaewa hat es in die berührende Gestaltung des österreichischen Pavillons eingearbeitet.


Anna Jermolaewa,Österreich/Ukraine


Platten mit Jazz oder Rock waren nach dem Krieg in der Sowjetunion nicht erlaubt. Das Verbot wurde umgangen, indem Röntgenaufnahmen, die keiner mehr brauchte, als Rohlinge für Schallplatten verwendet wurden. Das ist der Hintergrund für die Arbeit "Ribs", die Jermolaewa gemeinsam mit dem Gugginger Künstler Leopold Strobl umsetzte.


Anna Jermolaewa und Leopold Strobl Österreich/Ukraine


Anna Jermolaewa und Leopold Strobl Österreich/Ukraine


Das Drama

Im ägyptischen Pavillon kommen wir gerade zu den letzten Minuten des verfilmten Theaterstücks "Drama 1882" zurecht. Ein Musical, gesprochen und gesungen auf hocharabisch. Wir sind so begeistert, dass wir am nächsten Tag noch einmal kommen, um den ganzen Film zu sehen.


Wael Shawky, Ägypten


Venedig

Ich möchte daran erinnern, dass ich ein Flüchtling war, ein Mann, der das Land verlassen musste, das er liebte.... In Jugoslawien war ich etabliert und hatte mir eine angesehene Position in der Welt der Malerei erarbeitet, die ich nun auch in meiner geliebten Wahlheimat Venedig genieße." - Safet Zec, Venedig.


Safet Zec,Venedig


Safet Zec,Venedig


Wirr im Kopf

Das Wichtigste bei der Biennale ist der Zeitfaktor. Die Ausstellung ohne Vorwissen zu besuchen, ist meiner Meinung nach möglich. Es ist leicht, sich auf die Kunstwerke einlassen, auch wenn das Erleben natürlich durch Beschäftigung mit den Künstler:innen und ihren Werken wesentlich intensiver wird. Aber zu wenig Zeit zu haben macht wirr im Kopf und bringt nicht viel.


Biennale 2024


Eduardo Cardozo, Uruguay


Eduardo Cardozo, Uruguay


331 Kunstschaffende aus 80 Ländern stellen in diesem Jahr in Venedig aus. In eigenen Länderpavillons oder in verschiedenen Hallen im Arsenale.


Victor Fotso Nyie,Kamerun, Italien


Madge Gill, United Kingdom


Der Goldene Löwe

Mit dem Jurypreis der Kunstbiennale 2024 wurde der Australier Archie Moore ausgezeichnet. Er hat den Goldenen Löwen für „Kith and Kin“, was in etwa so viel wie "Kind und Kegel" bedeutet, bekommen. Die Geschichte der Aboriginee, denen er selbst angehört, hat er anhand zweier Stämme seiner Vorfahren bis ins Detail jahrelang recherchiert und handschriftlich eine riesige Ahnentafel erstellt. Über 2000 Generationen Demütigung und Gewalt.


Archie Moore, Australien


Archie Moore, Australien


Herz der Finsternis

Die Niederländer haben ihren Pavillon heuer der Demokratischen Republik Kongo überlassen. Die Figuren aus konoglesischem Lehm sind beängstigend. Plötzlich ist man mitten drin in Joseph Conrads "Herz der Finsternis". Gewaltig. Schwer zu ertragen.


Daniel Mvunzi, Kongo


Philomene Lembusa, Kongo


Richard Lepa CAPTC, Kongo


Arsenale

Das Mataaho Collective aus Neuseeland hat den Preis für die besten Künstler:innen bekommen. Die Maori-Frauen haben sich von traditionellen Webereiräumen inspirieren lassen. Unglaublich schön, wie sich das Werk in die Halle im Arsenale fügt. Überhaupt sind die Räumlichkeiten in diesem zweiten großen Ausstellungsort der Biennale jedes mal wieder ein besonderes Erlebnis.


Mataaho Collective, Neuseeland


Mataaho Collective, Neuseeland


Clorindo Testa, Italien/Argentinien


Arsenale


Daniel Otero Torres, Columbien


Arsenale


Die Wucht des Schuhs

Dieser Schuh ist perfekt als Anregung dafür, ein Kunstwerk in einer Ausstellung zu sehen und nicht auf unserem Blog. Ich finde, Bruno hat „SOUS LA CHAUSSURE“ sehr gut fotografiert, aber die Wucht, die dieses Werk hat, erschließt sich nur wenn man direkt davor steht.


Domenico Gnoli, Italien/USA


Marlene Gilson, Australien


Nour Jaouda, Libyen/Ägypten/UK


Dalton Paula, Brasilien


Barbara Sanchez-Kane, Mexiko


Ana Segovia, Mexiko


Textil

Auf bei der Biennale 2024 werden überdurchnittliche viele Textilarbeiten gezeigt. Das war in denn letzten Jahren oft so, aber weil heuer die Kunstbiennale auf den Globalen Süden setzt und deswegen viele indigene Künstler:innen mit dabei sind, spielt die Arbeit mit traditionellem Handwerk eine besonders große Rolle.


Santiago Yahuarcani, Peru


Remember Yahuarcani, Peru


Shalom Kufakwatenzi, Zimbabwe


Olga de Amaral,Columbien


Geschlossen

Die israelische Künstlerin Ruth Patir und ihre Kuratorinnen wollen, dass der israelische Pavillon geschlossen und bewacht bleibt und erst dann zugäng­lich werden soll, wenn im Gaza­krieg ein Waffen­stillstand und eine Verein­barung über die Frei­lassung der Geiseln erreicht ist. Im Arsenale ist allerdings das Werk der Israelischen Künstlerin Maya Gelfman zu sehen.


Pavillon Israel


Maya Gelfman, Israel


WangShui, USA


WangShui, USA


Der dritte Tag

Erwartung, Vorfreude und eine gewisse Spannung verspüren wir auch am dritten Tag. Der Kopf ist wieder frei für Neues.


Juliette Zelime, Seychellen


Gülsün Karamustafa, Türkei


Molemo Moiloa & Nare Mokgotho, Südafrika


Molemo Moiloa & Nare Mokgotho, Südafrika


Das Highlight

Sie sind überwältigend groß und gleichzeitig sehr fragil. Ausgerechnet eine Frau vertritt Saudi-Arabien heuer bei der Biennale. Die riesigen Blätter ihres Werks "Shifting Sands: A Battle Song" sind aus aus bedruckter Seide gefertigt und Wüstenrosen nachempfunden.Verstärkt durch die Geräusche von Wüstenwind und Frauenstimmen, gehören sie zum Besten was in Venedig zu sehen ist. Es lohnt sich die Texte, die nicht auf arabisch sind, zu lesen.


Manal AlDowayan, Saudi-Arabien


Manal AlDowayan, Saudi-Arabien


Manal AlDowayan, Saudi-Arabien


Manal AlDowayan, Saudi-Arabien


Manal AlDowayan, Saudi-Arabien


Manal AlDowayan, Saudi-Arabien


Mexiko

Dunkel und still ist es in diesem Raum. "Nos marchábamos, regresábamos siempre" (Wenn wir weggingen, kamen wir immer zurück). Viel Traurigkeit liegt in diesem Beitrag von Erick Meyenberg für Mexiko.


Erick Meyenberg, Mexiko


Erick Meyenberg, Mexiko


Anspringen

Da gibt es diese Bilder, die dich anspringen. Du schaust kurz hin, bist vielleicht irritiert, nimmst Platz (es gibt heuer in vielen Ausstellungsräumen Sitzgelegenheiten!!!) und bleibst sitzen. Das Bild bringt dich zum Schmunzeln, erzeugt gute Laune - im nächsten oder übernächsten Saal geht es wieder ans Eingemachte. Benin zum Beispiel setzt sich in "Everything precious ist fragile" unter anderem mit dem Sklavenhandel auseinander.


Chiachio & Giannone, Italien


Chloe Quenum, Moufouli Bello, Ishola Akp,. Romuald Hazoume, Benin


Mounira Al Solh, Libanon


Müdigkeit

Müdigkeit in den Beinen und im Kopf. Ein Spaziergang unter blauem Himmel und die Säulen „Keepers oft the Crown“ entspannen ein wenig. Aber auch das hilft uns nicht dabei, den Werken des Künstlers aus Usbekistan viel abgewinnen zu können.


Lauren Halsey,USA


Aziza Kadyri,Usbekistan


Aziza Kadyri,Usbekistan


Wieder wach

Und dann wird in uns wieder etwas zum Schwingen gebracht. Eine Installation, die eigentlich recht harmlos daherkommt. Zuerst wirkt sie wie eine Baustelle, als ob die Halle noch nicht fertig wäre, ein Gerüst, das nicht weggeräumt wurde. Doch dazwischen verstecken sich Orgelpfeifen und eine Art Leierkasten. „DUE QUI /TO HEAR“. Ah, daher kommt die Musik in diesem wunderbaren Irrgarten.


Massimo Bartolini, Italien


Massimo Bartolini, Italien


Massimo Bartolini, Italien


Ende

Aber dann ist wirklich Schluss. Wir können einfach nicht mehr und haben es dieses Jahr nicht geschafft einen der Palazzi in Venedig zu besuchen, die von Künstler:innen abseits von Giardini und Arsenale gestaltet werden. Wir spazieren Richtung Markusplatz, um das Schiff nach Punta Sabbione zu bekommen. Kurz davor lockt uns ein Schild in die Ausstellung von Oman. „SPOONFUL OF TRADITION“ - wie treffend. Und was für ein schöner Abschluss.


Sarah Al Olaqi, Oman


Sarah Al Olaqi, Oman