Biennale 2024
Fremde überall
Äpfel, Birnen, Bananen, Orangen und Zitronen faulen vor sich hin, ein Rollstuhl hängt von der Decke. Willkommen bei der 60. Biennale in Venedig.
Ein Geruch von Fäulnis hängt in der Luft, das verwesende Obst der Installation "decomposition" bringt Glühbirnen zum Leuchten. Technik, Chemie, Spielerei, Kunst. Die Übergänge sind manchmal fließend.
Fremde überall
Ein Alligator legte sich einst über die Beringstraße. Die Menschen benützten ihn als Brücke und wanderten so von Asien nach Amerika ein. Die Legende "kapewi pukeni" ist über dem Eingang zum Zentralpavillon in den Giardini zu sehen und nimmt das diesjährige Motto "Foreigners Everywhere" auf.
Bunte Perlen legen nahe, dass es im Pavillon der USA um das Verhältnis zur indigenen Bevölkerung geht. "the space in which to place me" verwendet Materialien und Formen der indigenen Kunst Nordamerikas und aktualisiert sie richtig poppig.
Russland stellt heuer seinen Pavillon Bolivien zu Verfügung. Ob es das tut, weil Bolivien die größten Lithiumvorkommen weltweit hat und damit die Chinesen im Handel mit dem begehrten Rohstoff ausstechen will, wird heiß diskutiert.
Ist sie eine römische Göttin oder eine Dragqueen? Jedenfalls ist das Hologramm, das sie zeigt sehr beeindruckend. Wie der schweizerisch-brasilianische Künstler Guerreiro Do Divino Amor mit dem Klischee der perfekten Schweiz spielt, ist großartig. "Super Superior Civilizations" ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Kunst auf der Biennale erleben lässt: Einfach staunen, lachen und sich einfangen lassen oder sich damit auseinandersetzen, was der Künstler über Nationen und antike Mythen zu erzählen hat.
Nach Hause telefonieren
Die meisten Besucherinnen sind nicht im sondern vor dem österreichischen Pavillon. Dort haben sie die Möglichkeit in Telefonzellen zu telefonieren. Sie nützen die Gelegenheit und stellen sich für Gespräche, die sie von ihrem Handy einfacher, aber ohne dieses Gefühl des Entdeckens und des Abenteuers hätten führen können, lange an. Vermutlich hat keine von ihnen davor jemals eine Telefonzelle betreten. Anders als die Asylsuchenden in Traiskirchen, die 1989 genau aus diesen sechs Telefonhütten nach Hause telefoniert haben.
Unruhe in der Politik
Schwanensee im Fernsehen. Wenn es in der Sowjetunion politisch unruhig wurde, gab es das Ballett von Tschaikowski in Dauerschleife zu hören und zu sehen. Anna Jermolaewa war Zeugin davon, bevor sie nach Wien geflüchtet ist. Schwanensee wurde zum Symbol für politische Unruhen. Anna Jermolaewa hat es in die berührende Gestaltung des österreichischen Pavillons eingearbeitet.
Platten mit Jazz oder Rock waren nach dem Krieg in der Sowjetunion nicht erlaubt. Das Verbot wurde umgangen, indem Röntgenaufnahmen, die keiner mehr brauchte, als Rohlinge für Schallplatten verwendet wurden. Das ist der Hintergrund für die Arbeit "Ribs", die Jermolaewa gemeinsam mit dem Gugginger Künstler Leopold Strobl umsetzte.
Das Drama
Im ägyptischen Pavillon kommen wir gerade zu den letzten Minuten des verfilmten Theaterstücks "Drama 1882" zurecht. Ein Musical, gesprochen und gesungen auf hocharabisch. Wir sind so begeistert, dass wir am nächsten Tag noch einmal kommen, um den ganzen Film zu sehen.
Venedig
Ich möchte daran erinnern, dass ich ein Flüchtling war, ein Mann, der das Land verlassen musste, das er liebte.... In Jugoslawien war ich etabliert und hatte mir eine angesehene Position in der Welt der Malerei erarbeitet, die ich nun auch in meiner geliebten Wahlheimat Venedig genieße." - Safet Zec, Venedig.
Wirr im Kopf
Das Wichtigste bei der Biennale ist der Zeitfaktor. Die Ausstellung ohne Vorwissen zu besuchen, ist meiner Meinung nach möglich. Es ist leicht, sich auf die Kunstwerke einlassen, auch wenn das Erleben natürlich durch Beschäftigung mit den Künstler:innen und ihren Werken wesentlich intensiver wird. Aber zu wenig Zeit zu haben macht wirr im Kopf und bringt nicht viel.
331 Kunstschaffende aus 80 Ländern stellen in diesem Jahr in Venedig aus. In eigenen Länderpavillons oder in verschiedenen Hallen im Arsenale.
Der Goldene Löwe
Mit dem Jurypreis der Kunstbiennale 2024 wurde der Australier Archie Moore ausgezeichnet. Er hat den Goldenen Löwen für „Kith and Kin“, was in etwa so viel wie "Kind und Kegel" bedeutet, bekommen. Die Geschichte der Aboriginee, denen er selbst angehört, hat er anhand zweier Stämme seiner Vorfahren bis ins Detail jahrelang recherchiert und handschriftlich eine riesige Ahnentafel erstellt. Über 2000 Generationen Demütigung und Gewalt.
Herz der Finsternis
Die Niederländer haben ihren Pavillon heuer der Demokratischen Republik Kongo überlassen. Die Figuren aus konoglesischem Lehm sind beängstigend. Plötzlich ist man mitten drin in Joseph Conrads "Herz der Finsternis". Gewaltig. Schwer zu ertragen.
Arsenale
Das Mataaho Collective aus Neuseeland hat den Preis für die besten Künstler:innen bekommen. Die Maori-Frauen haben sich von traditionellen Webereiräumen inspirieren lassen. Unglaublich schön, wie sich das Werk in die Halle im Arsenale fügt. Überhaupt sind die Räumlichkeiten in diesem zweiten großen Ausstellungsort der Biennale jedes mal wieder ein besonderes Erlebnis.
Die Wucht des Schuhs
Dieser Schuh ist perfekt als Anregung dafür, ein Kunstwerk in einer Ausstellung zu sehen und nicht auf unserem Blog. Ich finde, Bruno hat „SOUS LA CHAUSSURE“ sehr gut fotografiert, aber die Wucht, die dieses Werk hat, erschließt sich nur wenn man direkt davor steht.
Textil
Auf bei der Biennale 2024 werden überdurchnittliche viele Textilarbeiten gezeigt. Das war in denn letzten Jahren oft so, aber weil heuer die Kunstbiennale auf den Globalen Süden setzt und deswegen viele indigene Künstler:innen mit dabei sind, spielt die Arbeit mit traditionellem Handwerk eine besonders große Rolle.
Geschlossen
Die israelische Künstlerin Ruth Patir und ihre Kuratorinnen wollen, dass der israelische Pavillon geschlossen und bewacht bleibt und erst dann zugänglich werden soll, wenn im Gazakrieg ein Waffenstillstand und eine Vereinbarung über die Freilassung der Geiseln erreicht ist. Im Arsenale ist allerdings das Werk der Israelischen Künstlerin Maya Gelfman zu sehen.
Der dritte Tag
Erwartung, Vorfreude und eine gewisse Spannung verspüren wir auch am dritten Tag. Der Kopf ist wieder frei für Neues.
Das Highlight
Sie sind überwältigend groß und gleichzeitig sehr fragil. Ausgerechnet eine Frau vertritt Saudi-Arabien heuer bei der Biennale. Die riesigen Blätter ihres Werks "Shifting Sands: A Battle Song" sind aus aus bedruckter Seide gefertigt und Wüstenrosen nachempfunden.Verstärkt durch die Geräusche von Wüstenwind und Frauenstimmen, gehören sie zum Besten was in Venedig zu sehen ist. Es lohnt sich die Texte, die nicht auf arabisch sind, zu lesen.
Mexiko
Dunkel und still ist es in diesem Raum. "Nos marchábamos, regresábamos siempre" (Wenn wir weggingen, kamen wir immer zurück). Viel Traurigkeit liegt in diesem Beitrag von Erick Meyenberg für Mexiko.
Anspringen
Da gibt es diese Bilder, die dich anspringen. Du schaust kurz hin, bist vielleicht irritiert, nimmst Platz (es gibt heuer in vielen Ausstellungsräumen Sitzgelegenheiten!!!) und bleibst sitzen. Das Bild bringt dich zum Schmunzeln, erzeugt gute Laune - im nächsten oder übernächsten Saal geht es wieder ans Eingemachte. Benin zum Beispiel setzt sich in "Everything precious ist fragile" unter anderem mit dem Sklavenhandel auseinander.
Müdigkeit
Müdigkeit in den Beinen und im Kopf. Ein Spaziergang unter blauem Himmel und die Säulen „Keepers oft the Crown“ entspannen ein wenig. Aber auch das hilft uns nicht dabei, den Werken des Künstlers aus Usbekistan viel abgewinnen zu können.
Wieder wach
Und dann wird in uns wieder etwas zum Schwingen gebracht. Eine Installation, die eigentlich recht harmlos daherkommt. Zuerst wirkt sie wie eine Baustelle, als ob die Halle noch nicht fertig wäre, ein Gerüst, das nicht weggeräumt wurde. Doch dazwischen verstecken sich Orgelpfeifen und eine Art Leierkasten. „DUE QUI /TO HEAR“. Ah, daher kommt die Musik in diesem wunderbaren Irrgarten.
Ende
Aber dann ist wirklich Schluss. Wir können einfach nicht mehr und haben es dieses Jahr nicht geschafft einen der Palazzi in Venedig zu besuchen, die von Künstler:innen abseits von Giardini und Arsenale gestaltet werden. Wir spazieren Richtung Markusplatz, um das Schiff nach Punta Sabbione zu bekommen. Kurz davor lockt uns ein Schild in die Ausstellung von Oman. „SPOONFUL OF TRADITION“ - wie treffend. Und was für ein schöner Abschluss.