Kreta 10.10. bis 20.10. 2012
In der Taverne in Tris Petris stehen drei verschiedene Arten von Tischen. Sie stammen sozusagen aus einer Konkursmasse. Der Wirt hat sie von befreundeten Wirten im Norden Kretas, die in den letzten zwei Jahren ihre Tavernen schließen mußten.
An der Nordküste, die hauptsächlich vom Massentourismus und vom Konsum der Einheimischen lebt, spürt man die Krise durchaus. Hierher in den Süden kommen vor allem Stammgäste, die jedes Jahr wiederkehren. Deshalb gehen die Geschäfte hier gut.
Natürlich wird über die Probleme gesprochen und beim Besuch Angela Merkels in Athen lief zum ersten Mal in der Taverne nicht der Sportkanal im Fernsehen, sondern eine politische Sendung, bei der viel von der Rede der Kanzlerin gezeigt und übersetzt wurde. Natürlich reden die Griechen über die Krise, - auch mit uns.
Aber im Grunde genommen beziehen wir unsere Informationen, so wie auch zuhause, aus dem Internet: "Die griechische Regierung hat eine Kehrtwende bei der Jagd auf Steuerflüchtlinge vollzogen und will eine offenbar gestohlene Steuerdaten-CD aus der Schweiz doch nutzen."
Das ist schön. Vor allem wenn man bedenkt, dass die damalige französische Finanzministerin und heutige IWF-Chefin, Christine Lagarde, die CD schon 2010 an die Griechen weitergegeben hatte. Während die Franzosen mit Hilfe dieser CD inzwischen 500 Millionen Euro von Steuerflüchtigen eingetrieben haben, überlegen die Griechen noch, ob sie vielleicht doch aktiv werden sollten.
Wir lesen von dem griechische Bauern, der Millionen in die Schweiz verschoben hat, von den weit über 90.000 Griechen, die die Renten von Toten beziehen, von den kretischen Schafbauern, die ihre Herden virtuell vergrößert haben, um EU-Gelder zu lukreieren. Um die Steuerhinterzieher wird man sich wohl auch in Zukunft keine Sorgen machen müssen. Um die Schafhirten schon. Denn die hatten sich auf den EU-Beitritt ihres Landes gefreut. Ein Leben in Saus und Braus war ihnen in Aussicht gestellt worden. Und jetzt sitzen sie auf den Schulden, die sie angehäuft haben, um sich einen neuen Pickup zu kaufen.
Dabei ist es im ländlichen Bereich insofern leichter, als zum Leben immer genug da sein wird. Für die Städter, die zum Beispiel in sozialen Berufen arbeiten, ist es wohl wirklich unerträglich geworden. Weil das Sparpaket zumindest zum Teil die Falschen trifft, haben die Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen. In Athen und Patras ist heute, am 18. Oktober auch wirklich alles still gestanden. Bis jetzt, - 19 Uhr, hat auch keine Fähre den Hafen in Patras verlassen. Aber weil in Griechenland so vieles relativ ist, funktioniert der Fährbetrieb von Kreta aus wie gewohnt und auch die Linienbusse auf Kreta sind unterwegs.
Das "zigar, zigar" der Griechen trägt wohl auch nicht zur Lösung der Probleme bei. Der Tavernenbesitzer Stelio zum Beispiel erklärt seinen Gästen, die schon eine halbe Stunde auf einen Kaffee warten: "I have time".
Wer selbst Zeit und Geduld hat und sich auf dieses Spiel einlässt, wird von den Griechen herzlich aufgenommen. Wer hier ein Haus bauen will oder ein Geschäft aufziehen möchte, hat es wahrscheinlich auch ziemlich lustig.
Von diesen Geschichten ist es nicht weit bis zu den halbfertigen Häusern, die sich in ganz Griechenland finden. Zum Beispiel die Bauruine auf dem Strand von Preveli, einem der drei berühmtesten Strände Kretas. Seit Jahren verstellt sie der netten Taverne, die dort die Touristen verköstigt, die Sicht auf den Strand. Irgendein Grieche hat einst zu bauen begonnen, dann ging ihm vermutlich das Geld oder die Lust oder beides aus und das war's dann. Kein Mensch kümmert sich darum. Dabei ist dieses Haus noch relativ klein. Man findet ganze Hotelkomplexe, die sogar fertig gebaut, aber nie in Betrieb genommen wurden und in denen jetzt Ziegen hausen.
Und von dieser Gleichgültigkeit - oder im besten Fall Gelassenheit - profitieren wir. Letztendlich verdanken wir auch ihr diese wunderbare Reise. Keiner stößt sich daran, dass wir am Strand wild campen, dass wir einen Brunnen an einem Friedhofseingang zum Wassertanken benützen dürfen oder gar die Erlaubnis bekommen, bei der Polizeistation in Kissamos 140 Liter Wasser zu nehmen. Einfach so. Wir werden als Stammgäste behandelt, nur weil wir zwei Mal in derselben Taverne essen. Nachspeisen, Raki und Wein als Geschenk des Hauses inbegriffen. Und wenn wir zu Fuß vom Weg abkommen, dann startet ein Grieche selbstverständlich sein Auto, um uns ans Ziel zu bringen, obwohl sein Mittagessen schon auf dem Tisch steht.
Vor zweieinhalbtausend Jahren lebte in Griechenland ein Mann in einer Tonne. Diogenes, - ja der, der Alexander dem Großen auf dessen Frage nach einem Wunsch, gesagt haben soll, er solle ihm aus der Sonne gehen. Diogenes wurde auch Kyon genannt - Hund. Da passt es doch gut, dass heute zahllose Hunde in Griechenland in Tonnen leben.
Nur hätten diese Hunde wohl eine andere Antwort, wenn sie nach ihren Wünschen befragt würden. Denn wie die meisten Griechen ihre Tiere behandeln, ist für Mitteleuropäer nur schwer zu ertragen. Da werden Kühen Kopf und Vorderfüße mit einem kurzen Strick zusammengebunden. Das hat für die Besitzer den Vorteil, dass die Tiere kaum vorwärts kommen, für die Kühe bedeutet es aber, dass sie nicht einmal eine Fliege verscheuchen können, weil sie den Kopf kaum bewegen können. Jedenfalls ist es billiger und einfacher als einen Zaun um eine Weide zu errichten.
Das Anbinden bewährt sich auch bei Pferden und Eseln. Nur bei Hunden verändert sich langsam etwas. Immer noch findet man viele Hunde, die tagelang an einer kurzen Leine in der Sonne ausharren müssen, bis sie mit ihrem Besitzer einmal auf die Jagd dürfen, aber inzwischen gibt es auch Griechen, die ihre Hunde eher als Gefährten sehen und sie mit ihren Pickups mit sich nehmen.
Der Zugang zu Katzen ist ganz klar: Sie werden nicht kastriert, denn auf DIESES Vergnügen sollen sie nicht verzichten müssen. Soweit die Tierliebe. Wenn der Sommer allerdings vorbei ist, ist auch die Zeit für die kleinen Katzen abgelaufen. Die meisten von ihnen sterben.
Das kratzt die Griechen nicht, denn die Katzen haben sich den Sommer über ja ausgiebig vermehrt und ein paar überleben dann die kalte Jahreszeit doch und im Mai, wenn die ersten Touristen kommen, gibt's auch wieder genügend Abfälle um sich so zu stärken, dass sich die Katzen wieder vermehren können.
Das Foto, das die Katze mit heraushängender Zunge zeigt, täuscht allerdings. Es war nicht Todeskampf, sondern der Genuss von Brunos Berührung, der sie das Gesicht so verzerren ließ.
Außer Katzen haben in Griechenland nur mehr Schafe und Ziegen das Vergnügen frei zu sein. Und natürlich alle Tiere, die im Meer zuhause sind. Zum Beispiel der Sepia Officinalis, der gemeine Tintenfisch.
Laut Auskunft des Biologen Johann Ambach dient seine Fähigkeit zum Farbwechsel sowohl zur Tarnung als auch zur Demonstration der Stimmungslage. Während der hintere Teil noch gut an den Hintergrund angepasst ist, ärgert sich der vordere Teil schon grün und blau über den frechen Fisch, der an den Tentakeln zerrt. Aber schon bald folgt der Tintenstrahl.
Und genau diesen Vorgang hat Bruno mit der Unterwasserkamera eingefangen.Es ist schon ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass solche Dinge nicht weit unterhalb der Meeresoberfläche passieren, während wir schwimmen.
Als Bruno bei Siemens arbeitete, sprachen die Wissenschafter und Ingieneure im Forschungszentrum bei Siemens wenn die Arbeit getan war von'"abforschen". Und das ist genau das, was hier auf Kreta zur Zeit passiert. Mit jedem Tag kommen weniger Touristen zu den Stränden, die Liegestühle werden gestapelt und eingewintert, die Sonnenschirme ausgegraben, die Tauchstation schließt ihre Hütte, die Strandwirtin hat nichts mehr zu tun.
Die Luft wird kühler, obwohl die Sonne noch viel Kraft hat. Eine gewisse Wehmut über das Ende des Sommers ist zu spüren, aber auch die Erleichterung darüber, dass die hektische Hochsaison vorbei ist. Jetzt beginnt die Zeit der Olivenernte. Für viele Tavernenbesitzer ist es Zeit, sich anderen Geschäften zuzuwenden, für die Touristen hat der Urlaub ein Ende.
Wir haben Tickets für die letzte Fähre, die von Kissamos auf Kreta nach Gythio auf dem Pelopponnes fährt. Noch vier Tage auf Kreta. Jetzt gehört uns die Strandtaverne ganz allein. Es gibt nicht einmal mehr jemanden, der uns beim Anstoßen fotografieren würde.......